Interview ALBERT WATSON, PIRELLI-KALENDER 2019

Interview ALBERT WATSON, PIRELLI-KALENDER 2019

Watson geht vollkommen in seiner Arbeit auf. Sein Atelier in Manhattan, das ihm auch als seine persönliche Galerie dient, füllen Millionen Fotos und Negative sowie zahlreiche Gigantografien. Seine bildliche Sprache folgt einem Kodex, der seine Fotografien durch ihre Intensität und die technische Virtuosität eindeutig als Aufnahmen von Albert Watson identifizierbar macht, sei es ein Foto von einem Wald in Schottland, von einem Kleid von Yohji Yamamoto, getragen von einem Topmodel, oder eine Nahaufnahme des von dem Astronauten Alan Shepard auf dem Mond getragenen Raumfahreranzug, oder das ikonische Porträt von Steve Jobs. Sein unaufhörliches Streben nach Perfektion machten Watson zu einem der gefragtesten Fotografen der Welt.

Wie sind sie das Projekt des Pirelli-Kalenders angegangen?

„Der Pirelli-Kalender ist für jeden Fotografen ein einzigartiges Projekt. Als ich es in Angriff nahm, wollte ich es anders machen als die Fotografen vor mir und ich fragte mich, wie ich das wohl am besten realisiere. Ich suchte nach qualitativ hochwertigen Bildern mit Tiefe, die etwas erzählen. Ich wollte mehr machen als einfach nur Personen abbilden. Alles sollte den Eindruck entstehen lassen, man habe Einzelbilder eines Films vor sich. Ich möchte, dass die Betrachter des Kalenders verstehen, dass ich pure Fotografie machen wollte, dass ich die Frauen, die vor meiner Kamera agierten, entdecken und eine Situation schaffen wollte, aus der ein positives Bild der Frau von heute entspringt.

“Wie haben Sie das Projekt dann angelegt?

„Ich wollte sichergehen, eine aussagekräftige Story zu haben und dachte: „Versuchen wir,die Aufnahmen wie die Einzelbilder eines Films wirken zu lassen“. Die Aufnahmen wurden als Panoramabilder gemacht, was ziemlich aufwändig war. Jede der vier Frauen hat eine eigene Individualität, ein ganz besonderes Ziel im Leben und ihre eigene Art zu handeln.Und alle blicken auf ihre Zukunft. Das zugrunde liegende Thema sind also die ‚Träume‘,aber der Grundgedanke des gesamten Projekts ist die Erzählung in vier ‚kleinen Filmen‘.“

Können Sie uns etwas zu den Geschichten sagen, die Sie in Ihren Kalender beleben?

„Jede Figur übernimmt im Pirelli Kalender 2019 eine Rolle. Bisweilen nähert sich die Rolle dem an, was ihre Darstellerin im Leben macht. Doch letztlich spielen alle einfach eine Rolle.Sie sind nicht sie selbst. Und das ist es, was ich wollte.Die Frau, die Gigi Hadid wird, hat sich kürzlich von ihrem Lebensgefährten getrennt. Sie hat einen Vertrauten, dargestellt von dem Modedesigner Alexander Wang. Er hilft ihr, diesen schwierigen Moment zu überwinden. In diesen Bildern liegt für mich ein Hauch von Melancholie. Mit der Figur von Gigi Hadid wollte ich das Bild einer Frau vermitteln, die mit einem Gefühl der Einsamkeit in die Zukunft blickt. Ich wollte, dass sie wesentlich‚ minimalistischer‘ erschien als die anderen Frauen und die Kulissen, vor denen ich sie fotografiert habe.

Interview ALBERT WATSON, PIRELLI-KALENDER 2019

Julia Garner übernimmt die Rolle einer Fotografin, die botanische Motive aufnimmt und davon träumt, ihre Fotos erfolgreich auszustellen. Julia ist eine sehr erfahrene Schauspielerin und hat sich perfekt in ihre Rolle hineinversetzt. Wir haben die Aufnahmen in einem wunderschönen tropischen Garten in Miami gemacht, der sich für unsere Arbeit als perfekt erwies.

Misty Copeland und Calvin Royal III stellen zwei Tänzer dar, die in einer Wohnung im Stil des Art Déco leben. Sie träumt davon, ein Star zu werden und in Paris zu tanzen. Wie sie in die Zukunft blickt, hat sie ein Ziel vor Augen. Das Streben nach Erfolg ist ihre Antriebskraft.Die von Misty Copeland dargestellte Figur tanzt in einem Lokal, um sich ihren Unterhalt zuverdienen. Aber in ihrem Garten hat sie eine kleine Bühne errichtet, auf der sie tanzt,manchmal mit ihrem Verlobten, dargestellt von Calvin Royal III.

Die von Laetitia Casta dargestellte Künstlerin lebt in einer Einzimmerwohnung, die ihr auch als Atelier dient und die sie mit ihrem Lebensgefährten teilt, dargestellt von Sergei Polunin. Beide träumen vom Erfolg: sie als Malerin, er als Tänzer. Das Interessante ist, dass sich Laetitia in ihrer Freizeit wirklich Skulpturen widmet und Kunstgegenstände kreiert. Dieser günstige Zufall hat es ihr erleichtert, sich in ihre Rolle hineinzuversetzen. Wir haben beschlossen, auch im Freien zu fotografieren, um die Szene in ein natürliches Licht zusetzen. Miami und seine tropische Natur sind eine wesentliche Komponente des Bildes.

Welche Rolle hat das Licht in diesem Projekt gespielt?

„Die erste berühmte Persönlichkeit, die ich als junger Fotograf abgelichtet habe, war Alfred Hitchcock. Er sagte zu mir: „Mein lieber Junge, wenn das Storyboard beendet ist, ist auch der Film beendet. Ich muss ihn nur noch drehen.“ Das Wesentliche dieser Aussage blieb mir immer in Erinnerung. Der Kalender 2019 ist wie das Storyboard eines Films. Ich habe es gut getroffen, denn ich habe eine vierjährige Ausbildung als Grafiker gemacht und dann drei Jahre die Royal College of Art Film School besucht, wo ich Regie studierte. Ich habe nie einen Fotokurs besucht und musste also lernen, Fotos zu machen und mit dem Licht zuarbeiten. Die technischen Aspekte der Fotografie waren für mich immer schwierig, denn ich hielt sie für unnatürlich. Rein intuitiv war es für mich dagegen ganz natürlich, einer filmischen Ästhetik zu folgen. Ein Großteil meiner Arbeit basiert auf grafischen Aspekten und Filmstreifen, mitunter auch auf einer Mischung daraus. In dieser Hinsicht war es für mich einfach, mich in den Kalender einzuarbeiten und Bilder wie Einzelbilder eines Films zu erzeugen. Es ging um ein Verschmelzen all der verschiedenen Elemente, um daraus eine Story entstehen zu lassen. Der gemeinsame Nenner besteht darin, dass jede der dargestellten Figuren dynamisch ist. Sie denken an ihre Zukunft und träumen davon, wo siein fünf, zehn oder zwanzig Jahren sein könnten.“

Wie hat Ihnen die Arbeit am Set gefallen?

„Ich weiß, dass einige Personen am besten arbeiten, wenn am Set Spannung herrscht. Nurso können sie ihre Kreativität voll freisetzen. Für mich trifft das genaue Gegenteil zu. Wennich mich mit Personen amüsiere, wenn ich mich in ihrer Gesellschaft wohl fühle und mitihnen Spaß habe, kann ich aus ihnen wesentlich mehr herausholen. Manchmal sage ich denjungen Fotografen, entscheidend sei die Location, die Location und nochmal die Location,doch bei einem Projekt wie diesem heißt es Vorbereitung, Vorbereitung und nochmals Vorbereitung. Je mehr man sich auf eine Arbeit vorbereitet, desto kreativer wird sie sein. Esgilt nachzudenken und zu programmieren, programmieren, programmieren. Das ist es, waswirklich zählt.Ich hatte großartige Unterstützung, als ich die Atmosphäre für den Kalender schuf. SteveKimmel war der künstlerische Leiter, zusammen mit Arnold Barros und Belinda Scott, undsie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet. Dank ihres Engagements war alles perfekt.James Kaliardos hat sich um die Schminke gekümmert. Seine Arbeit war fantastisch, schön,unsichtbar, aber dennoch präsent. Die Frisuren, um die sich Kerry Warn kümmerte, wirktenbei allen Frauen ganz natürlich. Er hat viel Erfahrung beim Film gesammelt und war fürdieses Projekt genau der richtige. Julia Von Boehm kümmerte sich um das Styling und dasFashion Editing. Außerdem hatte ich mein eigenes Assistenten-Team mit Taro Hashimuraund Ed Smith. Alles Digitale wurde gesteuert von Adrien Potier, und Emi Robinson hatwunderbare Retuschen gemacht. Alle haben einen großen Beitrag geleistet, und am Endewar der Kalender wohl eher ein filmisches Projekt als ein fotografisches.“

Glauben Sie, dass Sie Ihre Träume verwirklicht haben?

„Wenn man einen Traum verwirklichen will, muss man hart arbeiten. Ich bin dabei immerschrittweise vorgegangen und habe ein Ziel nach dem anderen erreicht, ohne die Leitersofort bis ganz nach oben erklimmen zu wollen. Obwohl ich manchmal den Eindruck habe,dass diese Leiter ins Unendliche emporsteigt und sich die oberste Sprosse immer weiterentfernt, glaube ich doch, dass es sich lohnt, immer höhergesteckte Ziele und Träume vorAugen zu haben.“

www.albertwatson.net